Beschaffung und Produktentwicklung

Ein paar Worte zu: Geschwindigkeit und Effizienz in der Konstruktion und Produktentwicklung

Klar, alles muss schneller gehen: Der Kunde wartet, der Chef fordert, die Kollegen schauen böse, der Wettbewerber hat schon die halbe Welt erobert. Hätte die Konstruktion nicht schon letzte Woche abgeschlossen sein sollen? Oder war da der angepeilte Liefertermin, um schnellstmöglich in die Montage zu gehen? Verdammt wo sind meine Teile?

 

Aber nun erstmal durchatmen. Wie soll es denn auch schneller gehen bei 100 gefühlten Änderungen am Tag im Projekt? Natürlich wollen wir immer alles schneller und am liebsten sofort. Aber lohnt sich das überhaupt? Machen wir mit der Hektik in Projekten nicht mehr kaputt als wir an Wert durch Geschwindikeit verlieren? Kurzgesagt: nein.

 

Auch wenn es der Konstruktionsmethodikprofessor an der Uni nicht hören will: Methodisches Konstruieren war zwar ein Himmelsgeschenk der wissenschaftlichen Entwicklung (was wären wir alle nur ohne unseren morphologischen Kasten?), aber es ist auch ein Überbleibsel der 50er Jahre. Im Grunde ein Irrglaube, durch Theorie und Modelle stets ein "perfektes Produkt" durch reine Geisteskraft erschaffen zu können.

 

Aber nun haben wir das 20. Jahrhundert ja schon ein paar Jahre hinter uns gelassen. Auch die heiligen Ingenieure wissen: Fehler machen bei innovativen Produkten ist die Norm und nur wer aus Fehlern nicht lernt ist der Dumme. Eigentlich kann man nichtmal von Fehlern sprechen sondern von vielen technischen Annahmen in einem System aus Unbekannten. Und bewegen wir uns von allen Theorien ab zur Praxis, zeigt sich für jeden Konstrukteur im Live-Versuch, was funktioniert und was (oft leider noch) nicht. Das Ganze ist auch kein Beinbruch, sondern Teil einer praxisorientierten, anwendungsgerechten und iterativen/agilenProduktentwicklung.

 

Klingt teuer? Ist es aber garnicht: Teuer ist der Stundensatz der Herren/Damen Konstrukteure. Für die Zeit, die der Entwickler/die Entwicklerin an Theoriemodellen verbringt kann man viele Teile fertigen und erproben. Brain-off ist trotzdem nicht angesagt:  Auch im modernen Engineering gilt Planung als Pfeiler als Erfolgs. Aber das richtige Maß an Vorbereitung und experimenteller Erprobung muss stimmen. Stellen wir uns also schneller der Realität im Versuch und geben wir unseren Führungskräften das an die Hand was sie verstehen: Hardware und Ergebnisse.

 

Agilität ist hier das Schlagwort der Stunde: Viele Iterationen, viele Lessons-learnt, um schnell von Null auf 1 zu kommen. Für Serienentwickler, die das letzte Zehntel Prozent an Effizient und Optimierung aus ihren Bauteilen pressen müssen, ist das sicher nicht der richtige Ansatz. Wer aber erstmal überhaupt eine Machbarkeit untersuchen (oder realisieren) will, ist das der richtige Weg. Also gerade für Vorentwickler, Forscher und andere mit Innovationen befasste schlaue Köpfe.

Und was heisst das jetzt für die Digitalisierung der Produktentwicklung?

Der größte Hebel liegt wohl darin, schnell zu lernen und das Erlernte in die neuste Iteration einzupflegen. Allerdings ist Produktentwicklung auch ein Teamsport. Ich habe in den letzten Jahren einige Trends ausgemacht, die sich direkt auf die Digitalisierung beziehen:

 

1. WOMIT: Mehr digitale Werkzeuge aus der Softwareentwicklung

 Auch der schwäbische Maschinenbauer kommt an den Tools der Softwarebranche nicht mehr vorbei. Ob AgileDev, Scrum oder MVP: Die Begriffe sind auch in der Hardwarewelt verankert und werden sogar bei Automobil-OEMs gelebt, deren bisherige Organisationsformen noch auf Ludwig Yorck von Wartenburg zurückgingen. Aber wenn mit mehreren Teams, eventuell sogar international gearbeitet wird, ist die Organisation der Kommunikation und die Projektkoordnierung eine neue Herausforderung. Willkommen bei Online-Kooperation und Co.

 

2. MIT WEM: Mehr organisationsübergreifende Kooperationen: International, interdisziplinär, innovativ

Noch eine Neuerung für's Schwabenländle: Alles alleine im Kämmerlein basteln ist wohl bei der aktuellen Geschwindigkeit nicht mehr zeitgemäß. Zwar sind die Private-Public Partnershipmodelle zwischen diversen Forschungseinrichtungen und der Industrie mittlerweile fest im Organisationsdenken verankert, aber es kommt neuer Wind ins Spiel: Jahrzehntelang wurde durch dicke Subventionen Geld in diverse Institute gepumpt, um Patente für die Schublade (Ausnahme .mp3) zu produzieren. Aber die Amerikanisierung der Innovationsentwicklung steht an. Das Rad dreht sich schneller und da heisst es neue Formen der Zusammenarbeit finden: Es wird mehr und mehr mit jungen, agilen Firmen und meistens auch ohne öffentliche Überbezuschussung gearbeitet. Der Fokus liegt klar auf der geschäftsmodellorientierten Innovationsentwicklung und nicht mehr auf der reinen Forschung, der Forschung wegen. Den hier gilt : Bevorzugung der Besten über die Nähsten (International > Lokal), Präferenzierung der Umsetzung über das Reden und höhere Investitionen in Übernahmen und Kooperationen statt dem langfristigen, internen Ressourcenaufbau, der niemals mit der externen Entwicklung mithalten kann.

 

3. WAS: Ein neuer Fokus auf "Deep-Work"

Reden wir über unsere tägliche Arbeitsroutine: Wieviel Zeit des Tages verbringen wir eigentlich noch pro Tag mit unserer Expertise? Mit 2h fachlicher Arbeit würde man schon zur Spitze gehören, denn die meiste Zeit geht drauf für Sitzungen, Kundenbespaßung, Lieferantenmanagement, Besprechungen, E-Mails, Organisatorisches und Kommunikation. Befreiung ist allerdings in Sicht: Die Rückbesinnung auf unsere fachliche Arbeit als Ingenieure: Entwickeln, Testen, Optimieren. Kein Wunder, dass Sekundäroperationen wie die Beschaffung in den Hintergrund treten. Aber am Ende werden wir auch nicht für die Selbstorganisation bezahlt, sondern für das Lösen technischer Probleme. Ich hoffe sehr, dass sich für alles andere eine AI / Automation / Oursourcing Lösung ergeben wird.

Conclusions: WEniger organisieren, mehr schaffen

Jetzt habe ich die Maschinenbauer ja schon mehrmals hier - aus purer Freude - als ewiggestrige, erzkonservative, langsame Stubenhocker über einen Kamm geschert. Aber tatsächlich ergibt sich ja aus der obigen Darstellung ein interessanter Zyklus und ein gewisses Rückrudern.

 

In jedem Markt drehen sich die Rädchen schneller. Egal wo man in der Produktentstehung steht, ob man im B2B- oder B2C-Bereich aktiv ist. Der internationale Wettbewerb wird stärker, Konkurrenten holen auf - der Innovationdruck steigt. Wir alle stehen irgendwo in diesem System und müssen unseren Kunden stets schneller, bessere Lösungen präsentieren. Aber gleichzeitig werden uns auch stets neue Methoden, Werkzeuge und Denkanstöße geliefert. Nun kann man einerseits versuchen in dieser Presse aus Kundenanforderungen und Marktangeboten stets dem einen oder anderen Trend nachzurennen. Andererseits kann man sich aber auch auf seine Stärke zurückbesinnen. Ob es die Entwicklung von Maschinen, Software oder neuen Mobilitätskonzepten ist. Vielleicht müssen wir alle einfach nicht mehr versuchen alles zu tun (Blockchain, Big Data, AI, Leichtbau, ...), sondern das was wir tun wieder besser und schneller zu tun. Denn an der Qualität der Arbeit hierzulande gibt es selten kritik, aber an der Behebigkeit und an den Kosten alle male.

 

Und gerade hier liegt ja die Chance des "New Work": Arbeiten wir mit besseren Partner, arbeiten wir international, arbeiten wir konzentriert an dem was wir exzellent beherrschen und lassen alles andere Andere tun, die genau darin ihre Stärke haben, arbeiten wir modern, stolz und mutig - und auch morgen wird uns ein Stück der Zukunft gehören.

 

Auch mal nein sagen zu können, ist eine Stärke. Aber ein bewusstes Ja zu dem was uns produktiv weiterbringt: Ja, bitte!

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