Zeichnungsinterpretation mit ML

Paul Kühn

freiberuflicher Berater zur Digitalisierung im Maschinenbau.

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Neue Tools für die Kalkulation von Zeichnungsteilen

 Es scheint als hätte die Pandemie die Geschäftswelt dazu gebracht hat, sich schneller zu digitalisieren und die Maschinenbaubranche ist da nicht anders. Aber wird das Versprechen der Digitalisierung in der realen Welt auch eingelöst? Macht sie unsere Prozesse schneller und reibungsloser? Lasst uns einen Blick auf einen Bereich werfen, der reif ist für Veränderung: Der Analyse von Zeichnungen von individuellen Fertigungsteilen.

 

E-Procurement für technische Teile: Abschaffung oder Digitalisierung des alten Prozesses?

 Schauen wir uns einen typischen Geschäftsprozess in unserer Branche genauer an - den Einkauf. Die Aufgaben für die Mitarbeiter in den Beschaffungsabteilungen waren früher einfach, aber zeitaufwändig: "Legen Sie die 17 Teile fest, die ich kaufen muss, und ich finde die besten Lieferanten dafür" war das Credo des Einkäufers an die technischen Kollegen. Operativ bedeutet das, dass man für jedes Teil eine E-Mail an etwa 15 Lieferanten schickt, von denen man weiß, dass sie es herstellen könnten und dazu eine Datei - eine technische Zeichnung - anhängt. Das war's! In ein paar Tagen erhält der Einkäufer dann mit etwas Glück einige Angebote, aus denen er auswählen kann.

 

Heutzutage, mit den aufkommenden Online-Fertigungsplattformen, gibt es alternative Wege, um dieselbe Aufgabe zu erfüllen. Das Versprechen ist eine sofortige Angebotserstellung und Bestellung. Viele dieser Plattformen bieten Ihnen eine Online-Schnittstelle oder ein Webinterface über das man technische Zeichnungen und STEP/DXF-Dateien hochladen und einige verfahrensspezifische Spezifikationen ausfüllen kann. Das hatten wir uns ja für Laserteile und Frästeile bereits angeschaut. Aber neben den Vorteilen kann der Arbeitsablauf komplizierter werden als zuvor, da man alle Informationen zur Verfügung haben muss, um die sofortige Angebotserstellung zu ermöglichen.

 

Hier sind wir also bei einem typischen Kompromiss: Was würde Sie weiterbringen? Eine schnelle Bestellung über eine Instant-Quoting-Plattform, wie wir sie bereits für Blech- und CNC-Teile gesehen haben, oder der alte manuelle Prozess mit einer schnelleren Abwicklung? Das Einzige, was ich mit Sicherheit weiß, ist, dass das alte E-Mail-Pingpong entweder überwunden oder stark modifiziert werden muss um der heutigen Zeit noch gerecht zu werden.

 

Da wir in meinem Blog bereits ausführlich über Instant-Quoting gesprochen haben, wollen wir nun einen Blick auf die alternative Möglichkeit werfen, den Beschaffungsprozess für Blechteile zu digitalisieren: Ein Unternehmen, das direkt in die Automatisierung der bestehenden Handhabung von Ausschreibungen eingestiegen ist, ist Werk24. Ein in München ansässiges Unternehmen, das künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen einsetzt, um das Verständnis von technischen Zeichnungen zu automatisieren. Die Technologie des Unternehmens ist in der Lage, komplizierte technische Zeichnungen zu verstehen, selbst wenn sie Jahrzehnte alt sind und nicht mit einem 3D-Modell gekoppelt sind. Ihre APIs können Informationen wie Titelblöcke, Maße, engste Toleranzen und GD&Ts extrahieren und sogar CAD-Annäherungen erzeugen.

 

Anstatt also einen neuen direkten Weg der Beschaffung zu finden, wie es die meisten Online-Hersteller tun, bietet Werk24 eine Lösung, um den alten Arbeitsprozess zu digitalisieren. Somit steht eher die Assistenz durch Software im Vordergrund als die Ersetzung durch digitale Kanäle. Vielleicht erlaubt die Technologie aber sogar, dass Online-Plattformen ihr Angebot um den althergebrachten Arbeitsprozess erweitern und neue und alte Kanäle etwas näher zueinander finden.

 

Technisch gesehen setzt Werk24 auf Computer Vision und Machine Learning, um den menschlichen Leseprozess zu imitieren. Der Einsatz von Computer Vision bedeutet, dass die Technologie eine breite Palette von Datenformaten verarbeiten kann, darunter PDFs und Bilder. Sogar TIFF-Dateien funktionieren, falls noch jemand dieses Format nutzt.

 

Genau wie wir Menschen nutzt die künstliche Intelligenz Kontextinformationen, um die Robustheit zu erhöhen. Nehmen wir das Beispiel eines schlampig geschriebenen Maßes der Länge 7. Eine herkömmliche OCR wäre sich nicht sicher, ob es als '1' oder '7' interpretiert werden soll. Werk24 verwendet die gezeichnete Länge der Maßnahmen, um zwischen diesen Möglichkeiten zu unterscheiden. Das Team erklärt, dass seine Technologie zwei Persönlichkeiten hat: eine dynamische Persönlichkeit, die maschinelles Lernen nutzt, um sich auf der Grundlage der verarbeiteten Dateien ständig zu verbessern, und eine statische Persönlichkeit, die das Ergebnis auf Plausibilität prüft und technische Konventionen nutzt, um die Robustheit zu verbessern.

 

Sollte es somit nicht möglich sein, dass Sie eine Anfrage, die nur aus einer technischen Zeichnung besteht, direkt an die E-Mailadresse dieser Online-Plattformen gesendet wird, so wie es jetzt mit konventionellen Herstellern getan wird? Innerhalb einer Minute könnte man eine E-Mail mit einem Angebot und einer direkten Bestellmöglichkeit zurück erhalten. "Es geht nicht nur um die Beschaffung, sondern unsere Technologie kann auch fast alle bestehenden Prozesse rund um Technische Zeichnungen automatisieren, ohne die etablierte Arbeitsweise zu verändern." sagte mir Dr. Jochen Mattes, der Geschäftsführer von Werk24. Der Kern des Einsatzes ist also gar nicht die Frage, ob der eine Weg oder der andere zielführend ist, sondern wie zwei verschiedene Methoden kombiniert werden können.

 

Was ich auch an anderen Anwendungen von Werk24 interessant fand, ist, dass ihre KI-Technologie auch für die Verbesserung des Tagesgeschäfts von konventionellen Herstellern nützlich sein könnte. Wenn diese stundenlang damit beschäftigt sind, all die eingehenden Anfragen in ihrer Mailbox zu bearbeiten, unterstützt Werk24 sie dabei passende Anfragen für ihren Maschinenpark herauszufiltern. Ein weiterer typischer Fall könnte sein, dass Unternehmen jahrzehnte alte, gescannte Zeichnungen haben, die sich aber nutzlos in Ordnern auf den Computern stapeln. Werk24 kann diese wirklich in ein durchsuchbares Repository digitalisieren oder sogar dabei helfen, Ihr eigenes Preismodell zu analysieren und zu trainieren.

 

Was mich auch an Werk24 reizt, ist die Einfachheit der Nutzung einfacher API-Aufrufe, um bestehende Systeme zu bedienen. Gleichzeitig bieten sie auch eine ganze Reihe von Anpassungs- und Integrationsdiensten an, um sicherzustellen, dass ihre Technologie in das bestehende Geschäftsgefüge eingefügt wird, um einen Mehrwert zu schaffen.

Das richtige Werkzeug für den richtigen Zweck?

Im Vergleich zum aktuellen Trend der Sofortquotierung und -bestellung könnte die Funktionalität von Werk24 also eher hinter E-Mails versteckt sein. Ich würde es eher als intelligente Unterstützung für den Vertriebsleiter sehen und nicht als Ersatz für das Vertriebsteam, wie es die meisten Instant-Quoting-Websites betreiben. Vor allem bei wiederkehrenden Aufgaben, die viel manuelle Datenverarbeitung und -analyse erfordern, könnte diese Lösung den Vertriebsspezialisten helfen, schneller und genauer gute Angebote zu unterbreiten, da keine wichtigen Daten verloren gehen und durch Vorklassifikationen Daten bereits strukturiert für die manuelle Begutachtung vorliegen.

Ich denke auch, dass es sehr wichtig ist, dies aus der Perspektive des tatsächlichen Käufers zu betrachten. Ein Beschaffungsspezialist ist vielleicht eher daran interessiert, den alten Prozess beizubehalten und einfach ein besseres Angebot durch schnelleres Feedback und ohne zusätzlichen Aufwand zu erhalten. Aus der Sicht eines Ingenieurs könnte die sofortige Angebotsabgabe ihm die Zeit für die Erstellung der technischen Zeichnung ersparen, da alle Informationen ohnehin online eingegeben werden. Ich denke, es hängt stark davon ab, mit wem man spricht, wenn man einen digitalen Vertriebskanal sucht.

Außerdem bin ich nach wie vor der Meinung, dass die Umsetzung der Technologie wichtiger ist als ihre technologische Grundlage. Wenn Online-Hersteller in kurzer Zeit (nicht unbedingt sofort!) gute Preise auf bequeme Art und Weise anbieten können, werden sie das Rennen machen. Ich bin gespannt, welches Konzept sich durchsetzt (oder eine Kombination aus beidem)? Was denkt ihr?

 

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