Fertigungsplattformen - Eine Übersicht

Das aktuelle Drama um die FErtigung (gilt nicht für Mercedes-Benz)

Konstruieren und entwickeln könnte so etwas herrliches sein. Neue Produkte entwickeln, optimieren und die Lorbeeren einsahnen für den deutschen Erfindergeist. Herrlich. Leider bringt einem die Mischung aus dem Entstehungsprozess (und dem Mindset), der zu Kaiserzeiten entstand und die Umsetzung in der Fertigung trotzdem an den Rande des Wahnsinns. Eigentlich müsste einem da ja die Digitalisierung ausnahmsweise mal entgegen kommen. Muss denn eigentlich alles so laufen wie früher? Wir können mit 2 Klicks auf Amazon eine Waschmaschine mit Internetanschluss und eigener App kaufen, aber für jedes Frästeil muss man erstmal 100 Telefonate führen (nur zwischen 7:30-11:30 Uhr, nicht um 8:30 Uhr, denn da ist Brotzeit; auch nicht zu Mittag und ab 15:30 Uhr sind im Stau auf dem Weg nach Hause, Montag ist die Frau von der "Telefonanlage" nicht da).

 

Also, schauen wir uns doch mal den Prozess der Bauteilbeschaffung an und wie er aktuell gelebt wird. Vielleicht bietet hier ja die Digitalisierung Online Beschaffung eine Möglichkeit für neue Wege? Kann man nicht Entwickler, Einkäufer und Fertiger von immer wiederkehrenden Prozessen befreien?

 

Fangen wir doch bei den Zeichnungen an. Die Geometrie ist ja eigentlich durch das 3D-CAD Modell vorhanden, so dass man mit der Zeichnung eigentlich nur noch Dinge kommuniziert, die aus dem Modell nicht hervorgehen: Also Toleranzen, Anmerkungen etc. Wenn man die nicht speziell angeben will oder muss, weil vielleicht die Allgemeintoleranzen ausreichen, wird die Zeichnung im Grunde überflüssig. Klar, 1871, als der neu betitelte Deutsche Kaiser die Grundlagen für seine Schiffsindustrie legte, musste der Konstrukteur sein Geistesgebilde selbstverständlich erst in eine Zeichnung pressen, damit der Mann an den Maschinen auch wusste, was der hohe Herr Ingenieur am Ende von ihm wollte. Ob das heute zwingend auch so sein muss, möchte ich bezweifeln, auch wenn bei so einem Statement die schwäbischen Fertiger zu den Waffen rufen werden. Im Grunde kann der Konstrukteur auch online sein Modell hochladen, die Spezfikation direkt am 3D-Modell vornehmen und sich die Zeit am Zeichenbrett 2D-Zeichenprogramm sparen.

 

Bleibt die Suche nach einem Fertiger. Klingt einfach, ist es allerdings je nach Ausgangslage aber garnicht. Wenn die Konjunktur brummt, sind die meisten Firmen einfach ausgelastet. An Kleinserien, Bemusterungen und Prototypen hat eigentlich kaum eine Firma Interesse, denn es bedeutet im schlimmsten Fall, dass der Chef sich tatsächlich mal selbst um seine Kunden kümmern muss. Der Großauftrag über Jahre ist da natürlich einfacher. Maschine einstellen,  Qualität mit Kunden einmal absprechen, Qualität prüfen und dann einfach produzieren so lange es geht. Wenn Maschine und Mannschaft laufen, kann der Chef zum Golfen und auf die Mitarbeiter kommen keine Überraschungen zu. So soll es sein.

 

Es klingt oben bereits an, aber das Resultat des Ganzen ist eigentlich ein großer Zeit- und Nervenverlust. Am Ende beschäftigen wir hochbezahlte Personen damit, Dinge abzusprechen, die eigentlich schon klar sind. Der Ingenieur malt also fröhlich seine Zeichnungen, der Fertiger muss sich das auch noch alles anschauen und Preise berechnen ("was für 'ne sch**ß Passung will der da?!") und der Einkäufer weiß eh nicht so genau, was die zwei da eigentlich reden ("bei Ergo wurde man für Leistung wenigstens entlohnt").

Der Ingenieur (mitte) erklärt seine Zeichnung. Fertiger (links) schüttelt den Kopf. Einkäufer (rechts mit Speren) warten auf Möglichkeit des Wirtschaftskriegs.

Der Netzwerkeffekt bei Plattformen und warum es am Ende allen Hilft (außer MErcedes-Benz)

Leider ist das geschilderte Szenario nur für Großabnehmer und den Fertiger (vermeintlich) von Vorteil. Einerseits bilden die beiden in ihrem Kunden-Lieferantendasein natürlich bessere Beziehungen aus, vertrauen sich und helfen sich aus. Sollte aber doch einer von beiden von der Bildfläche verschwinden - durch Rente/Tod/Konkurs/Krankheit/Wettbewerbsdruck - bleibt der andere traurig und alleine zurück. Daher setzt natürlich keiner von den beiden auf nur einen Partner, sondern sucht sich mehrere Kunden/Lieferanten, um für Stabilität zu sorgen (siehe Golfspielen oben). 

 

Im Grunde ist es wie bei Einzelaktien und Fonds ETFs: Je breiter man das Risiko streut, umso geringer wird zwar die (theoretisch) maximal erzielbare Rendite, aber um so weniger wird man sich Sorgen machen, beim nächsten Crash aus dem Fenster springen zu müssen. Bleiben wir bei der Fertigung: Statt 1/2/3/10 Fertiger/Kunden bieten Plattformen die Möglichkeit, tausende Kunden/Fertiger zu finden und damit einerseits die Maschinen besser auszulasten, andererseits aber auch stets verlässlich und zu transparenten Preisen Bauteile einzukaufen. Wer risikoaffin ist, kann natürlich mit einigen wenigen, gut gesetzten Wetten Kunden gutes Geschäft machen. Aber idealerweise setzt er einen Risikomix an, behält seine besten Kunden und lastet seine Maschinen mit Plattformen und kleineren Aufträgen aus. Das Ganze ist erstmal unabhängig davon, ob wir von Dreh- und Frästeilen, Blechen oder vom 3D-Druck reden.

 

Besonders spannend für den Käufer ist das Ganze überall dort, wo man sowieso nur kleine Mengen benötigt. Das kann jeder sein vom Bastler bis zum Entwickler. Wie oben beschrieben, haben die natürlich keine Einkaufsmacht, aber durch die Plattformstruktur ergibt sich aus vielen Kleinaufträgen eben doch ein größeres Geschäft. Und man kriegt als Bastler eben doch endlich das selbst konstruierte, rot eloxierte Frästeil für den tiefergelegten Golf-Caddy des Cousins. Toll.

Ein Wort zum Thema Qualität (und was hat es mit Mercedes auf sich?)

Was oben beschrieben wird, liegt einer sehr vereinfachten Annahme zu Grunde: Die Bauteile sind mehr oder weniger Commodities. Jeder Fertiger könnte damit alle Teile herstellen und sie wären in der Qualität vergleichbar. Allerdings sind mechanisch gefertigte Bauteile in ihrer Qualität doch sehr unterschiedlich: Das hängt einerseits mit der (Erfahrung der) Mitarbeiter, den eingesetzten Maschinen und Materialien, aber auch dem Qualitätsbewusstsein der fertigenden Firma zusammen.

 

Am Ende werden unsere hochbezahlten Ingenieure und Mechaniker ja auch für Qualität bezahlt. Dreck können andere günstiger herstellen. Allerdings führt das auch oft zu einer "Pseudoqualität" bzw zu "overengineered products". Denn Qualität ist im Vergleich zu Kosten und Leistung (= Arbeit pro Zeit) für Außenstehende nur schwer messbar. Zu hohe Qualität führt selten zu Problemen und daher setzt man sich automatisch lieber ins sichere Nest, wenn der Chef eh bezahlt (Danke!). Also lieber mal besser fertigen und Toleranzen höher spezifizieren als nötig. Das kostet natürlich auch ordentlich Geld.

 

Auch unterscheiden sollte man zwischen Qualität und Komplexität. Sog. engineered products, also maßgeschneiderte technische Konstruktionen können eine quasi unbeschränkte Komplexität annehmen, bei der kleinsten Details über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Hier hat sich der Ingenieur tatsächlich was bei der Arbeit gedacht und wird auch oft auf hochspezialisierte Betriebe und ihre Spezialmaschinen zurückgreifen.

 

Daher war der Verweis auf Mercedes in den Überschriften natürlich durch zwei Dinge motiviert: Einerseits natürlich durch der Verweis auf jahrhunderte alte (schwäbische) Firmen, die alles immer noch so machen, wie damals von Bismarck beordert. Andererseits aber auch die Frage, ob Online-Beschaffung für jede Firma aufgrund der Komplexität und des Anspruchs an die Produkte das richtige ist. Und hier ein illustratives Beispiel: Den Motorblock wird Daimler wohl aufgrund der hohen Anforderungen an Qualität und Nachbehandlungen nicht auf InstaWerk beschaffen, aber in der Produktion werden zahllose Frästeile als simple Auflagen, Anbindungen, Verbinder etc. direkt in Maschinen und an Vorrichtungen verbaut. Diese "Commodities" bieten ein unbegrenztes Potenzial der Kosteneinsparung durch schlanke Beschaffung und niedrige Preise. Hier macht die Beschaffung wohl gleich deutlich mehr Sinn.

Wann macht das Eigentlich dann alles Sinn und für wen?

Schneller (Zeit), besser (Qualität) und günstiger (Preis). So wollen wir es doch am Ende alle haben. Aber wie heißt es so schön: Take two!

  • Schnell und günstig: die Qualität ist niedriger.
  • Schnell und hochqualitativ: Der Preis ist höher.
  • Hochqualitativ und günstig: Es dauert länger.
  • Hochqualitativ und schnell: Der Preis ist höher.

Wer hochspezifische, kommunikationsintensive und/oder größere Serien beschaffen wird, wird aus den oben ausgeführten Gründen auf Beschaffungs-Plattformen als Kunde nicht glücklich werden. Und auch wenn absolut schnelle Lieferzeiten gefordert sind und man das nötige Kleingeld für eine Über-Nachtfertigung parat hat, wird man lieber mal den Betrieb in unmittelbarer Nachbarschaft mit dem Geldkoffer von der Dringlichkeit überzeugen müssen.

 

Streichen wir also mal Qualität und Zeit aus der oberen Betrachtung wird der große Nachteil von Plattformen in der wirtschaftlichen Realität deutlich: Eigentlich bleibt nur die Beschaffung von Commodities in ausreichender Qualität bei vernünftigen Preisen übrig. 

 

Und nun zur Königsfrage der Fertigung: Was ist mit der Stückzahl? Alle Plattformen kalkulieren die Preise transparent, aber bedingt durch das Geschäftsmodell wird stets der Middle-man (Kill the middle-man!) einen Bonus aufschlagen. Auch gewiefte Konkurrenten werden wohl mal einen Blick auf das Preisangebot des Mitbewerbers werfen, wenn der große Umfang den Aufwand rechtfertigt. Diese Transparenz wird quasi zum Vorteil des traditionellen Wettbewerbs. Und bei größerem Geschäftsumfang wird auch der golfspielende Chef jedes nicht digitalisierten Betriebs aktiv, denn er will ja die nächsten Jahre weiter seiner Leidenschaft fröhnen: Hier werden alle Kräfte mobilisiert; Spezialvorrichtungen entwickelt, die Ingenieure malträtiert, noch ein Azubi eingestellt, der Maschinenlieferant (auch schwäbsich!) mit einbezogen und Partner im Ausland für Unteraufträge eingebunden. Und siehe da, die schwäbische Firma mit ihren Partnerfirmen auf der Alb ist wieder im Geschäft, denn all das kann die Plattform nicht bieten. Von einem "Krieg der Fertiger", kann man also nur im Bezug auf die Online-Fertiger sprechen.

 

Brechen wir unser Marktsegment also noch weiter runter und kommen wir zu einem Fazit. Plattformen sind geeignet um technische Commodities in ausreichender Qualität bei vernünftigen Preisen für kleine Stückzahlen zu beschaffen.

 

Am Ende hat aber durch die Plattformen jeder seiner Spezialisierung entsprechend doch gewonnen: Hochspezialisierte Betriebe fertigen Highend-Produkte, die Plattform schafft Angebot und Nachfrage zur Steigerung der Auslastung bei Allen, der Kunden kriegt in jeder Stückzahl ausreichend Bauteile zur passenden Qualität, und der Massenfertigungsbetrieb gewinnt durch menschliche Intelligenz.

 

In meinen detaillierteren Artikeln zu spanend hergestellten Bauteilen und Blechen gehe ich darauf nochmal ein. Später werde ich auch mal die Geschäftsmodelle der einzelnen Betriebe genau auf diese Anforderungen hin analysieren. Denn nicht alle machen hier meiner Meinung nach einen guten Job in ihrer strategischen Aufstellung und versuchen eine Eier-legende Vollmilch-Sau zu sein (siehe Bild unten).

Plattformen sehen sich als "Allrounder". Leider verkommen sie damit aber eher zum Bauchladen, statt sich ihrer Ausrichtung bewusst zu sein.

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